Hartdurm – Artist-run-Offspace am Hardturm in Zürich
Michael Meier & Christoph Franz
«Aspects of Change»
2024
Rasenfarbe, 15 x 1.8 m, Farb HD Video, 3:40 MIN
Performance:
Freitag, 19. Juli 2024, 18:00 Uhr
Sportzentrum Hardhof, Fussballfeld 2
Als die Hardturmstrasse an der Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert erstellt wurde, befand sich an ihrem Anfang um den Escher-Wyss-Platz ein von der Stadt Zürich aktiv entwickeltes, boomendes Industriequartier. Und an deren Ende lag um den Hardhof die städtische Allmend, ehemaliges Weideland und geteilte Nutzfläche der städtischen Bürger:innen. Gegen Süden, zu den Gleisen hin, erstreckte sich die Herdern, das ebenfalls als Weideland genutzte Schwemmgebiet von Limmat und Sihl. Die teils gepflästerte, teils asphaltierte und beidseitig von Bäumen gesäumte Hardturmstrasse verband gewissermassen Vergangenheit und Zukunft. Hier der gemeinschaftlich, agrarisch genutzte Boden, dort die in grossen Parzellen unterteilte Fläche industrieller Produktion. Da ein Boden, dessen Wert in seiner biologisch-chemischen Zusammensetzung, der Durchwässerung und seiner kompetenten Pflege lag, dort ein Boden, dessen Wert sich massgeblich daraus ergab, was auf ihm als versiegelte Unterlage erstellt und produziert werden konnte.
Dazwischen wurden etwas später, in den 1920er Jahren, die Bernoulli-Häuser erstellt. Sie tragen den Namen des Architekten und Bauherren Hans Bernoulli, der zwei Dekaden später seinen Professorentitel an der ETH Zürich wegen seinen Positionen in der Bodenfrage („Aufhebung des privaten Grundeigentums“) verlieren sollte. Er verkaufte damals die Häuser für 24‘000 Franken an Privatpersonen. Die Fläche dazwischen ging in gemeinschaftliches Eigentum aller Hausbesitzer: innen über. Die gemeinsame Nutzung entwickelte sich nur schleppend, wie Fotos aus dieser Zeit vermuten lassen. Erst als das Automobil seinen Siegeszug antrat, wurde eine für alle offensichtliche Nutzung gefunden: die Autos übernahmen die Freiflächen.
Die Transformation des Industriequartiers entlang der Hardturmstrasse verlief ab den 1960er unstet, nahm ab den 2000er Jahren zunehmend Fahrt auf und war und ist politisch stets umkämpft. Die Gründe dafür sind wenig überraschend: In den 1980er Jahren kostete ein Quadratmeter Boden, auf dem ausschliesslich Industrieproduktion zugelassen war, zehnmal weniger als derselbe Boden, auf dem Büros oder Wohnungen gebaut werden durften. Eine Revision der städtischen Nutzungsordnung verzehnfachte also auf einen Schlag Vermögenswerte: Gewinne ohne Aufwand.
Die Entwicklung der Hardturmstrasse zeigt eindrücklich, wie städtische Planungsprozesse und ein feinmaschiges Netz von Regeln, die definieren, was auf welchen Parzellen gemacht werden darf und was nicht, den Wert des Bodens mitbestimmen. Wenn also der Wert des Bodens vor allem auf gesellschaftliche Bedingungen zurückzuführen ist, dann lässt sich mit guten Gründen Eigentum an Boden als Anvertrauen einer stets gemeinschaftlichen Ressource verstehen. Die Genossenschaft Kraftwerk, die Ende der 1990er Jahre Boden von der Oerlikon-Bührle Immobilien AG (heute Allreal Holding) erwerben konnte, nahm diesen Gedanken auf und leitete mit ihrem Bau Kraftwerk 1 an der Hardturmstrasse 134 eine wahre Renaissance des genossenschaftlichen Wohnungsbaus ein. Es sollte bis heute der letzte gemeinnützige Wohnungsbau im ehemaligen Industriequartier bleiben, während der private renditeorientierte Wohnungsbau floriert. Dort wo früher Arbeiter:innen Maschinen, Spiegel, Seifen, Seidenprodukte herstellten, leben heute Zürcher:innen, die knapp doppelt soviel verdienen und Vermögen versteuern wie der Zürcher Durchschnitt. Der Ort ist trendy. Und mit dem Bezug der On Labs an der Förrlibuckstrasse, direkt im Rücken der Hardturmstrasse, ist Zürich West wieder eingebunden in globale Wirtschaftskreisläufe: Der kurze Tennismatch zu Werbezwecken zwischen Roger Federer und Zendaya ist nur das letzte Beispiel dafür. Transportiert werden indessen nicht mehr Maschinenteile und dergleichen, sondern Bilder eines metropolitanen Lebensstils, der sich leichtfüssig zwischen Sauerteigbäckereien, Hafermilch Flat Whites, Flughäfen und Kunstmuseen von Weltformat bewegt.
Mit der Arbeit Aspects of Change beschäftigen sich Michael Meier & Christoph Franz mit dieser Transformation des Quartiers rund um die Hardturmstrasse. Die Künstler schreiben mit weisser Sportplatzfarbe den Namen des Londoner Stadtteils Islington in den Mittelkreis eines der Fussballfelder im Sportzentrum Hardhof. Islington war 1964 das Forschungsfeld für die britische Soziologin Ruth Glass. Sie untersuchte mit ihren Kolleg:innen den Zuzug von Mittelschichtsfamilien in den ursprünglich vor allem von Arbeiter:innen bewohnten Stadtteil. Für dieses Phänomen verwendete sie erstmals im wissenschaftlichen Kontext den Begriff Gentrifizierung.
Text: Philippe Koch (ZHAW Institut Urban Landscape)
Hardturmstrasse, global, 2024
Mit großzügiger Unterstützung von
Karl Morf AG
Sportamt der Stadt Zürich
Sportzentrum Hardhof, Michel Elsener
Michael Meier (1980) & Christoph Franz (1982) arbeiten als Künstlerduo in Zürich. Orte und ihre gesellschaftlichen, historischen und politischen Prägungen sind Ausgangspunkt ihrer künstlerischen Praxis. In sorgfältigen, recherchebasierten Prozessen eignen sich die Künstler diese Orte an und nehmen mit konzeptionellen Arbeiten darauf Bezug. Ihr thematischer Fokus liegt auf der Stadt sowohl als konkretes Interaktionsfeld als auch als Denkraum.
Michael Meier & Christoph Franz setzen sich mit den Veränderungsprozessen unserer gebauten Umwelt auseinander. Sie verhandeln in spezifischen Zugängen die Sedimente des Städtischen, hinterfragen dessen Gewordenheiten und versetzen sie in Bewegung.
2022 wurden sie mit dem Prix Visarte für Kunst im öffentlichen Raum ausgezeichnet. 2020 und 2012 erhielten sie den Werkbeitrag des Kanton Zürich, 2013 den Helvetia Kunstpreis und 2012, im Rahmen der Swiss Art Awards, den Kiefer Hablitzel Preis.
Michael Meier, 1980, wohnt und arbeitet in Zürich
Christoph Franz, 1982, wohnt und arbeitet in Zürich